Gestern klopfte ein älterer Herr bei mir ans Fenster. Ob ich ihm kurz helfen könnte. Zwei Sätze für ihn schreiben, er litte an Tremor, ständigem Zittern. Also ließ ich mir seinen kurzen Brief diktieren und schrieb ihn auf die Rückseite eines ärztlichen Attests. Liebe Frau Fröhlich… Es sei alles schwierig, mit diesem Tremor, das Anziehen, das Essen, Suppe würde er sich gar nicht mehr machen, und dann alles im Kopf behalten, so viele Dinge… hätten Sie die Güte für mich bei dem Professor nachzufragen… Er wäre ja selber schon bei dem Professor gewesen, aber eine Fahrt nach Köln sei für ihn sehr herausfordernd, er habe auch schon angerufen, aber da sei immer nur der Anrufbeantworter… Ihnen die Unterlagen über meine Operation zuzusenden… Wie alt ich denn sei? Ich könne ja seine Tochter sein. Er hätte niemanden mehr… der Professor habe alle Daten zu seiner Knieoperation… Früher wäre er Richter gewesen, hätte viele Menschen geholfen. Und hier in Eller habe er in St. Gertrud in der Knabenschola gesungen und auf dem Flohmarkt die meisten seiner Schallplatten gekauft… bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet. Mit hochachtungsvollen Grüßen… Man darf nicht aufgeben! Nie! Es gibt immer noch Hoffnung, sagt er.

Ob er sich revanchieren dürfe? Aber nein, antworte ich, das war doch selbstverständlich! Ich wisse ja gar nicht wie, hakt er ein… Und er beginnt vor meinem Fenster zu singen, mit klarer Tenorstimme, ein, zwei Strophen eines deutschen Liedes. Über die Hoffnung. Mit einem Lächeln auf den Lippen. Zauberhaft.

Auf einmal sehe ich den ganzen Menschen, nicht nur den alten, zitternden, unbeholfenen Mann… sehe seine Schönheit, seine Würde, seine Kraft!

Danke, Gott, dass Du mich immer wieder an die Würde des Menschen erinnerst!

Esther